Von Alexa Borgert
Indien – bunte Saris, duftende Gewürze, Kühe auf der Straße, Verkehrschaos, Kulturschock, Namaste…Das hat bestimmt jede*r schon einmal in Dokus gesehen oder von Freund*innen oder Bekannten gehört. Ich glaube, wir haben in Deutschland ein sehr vorgefertigtes und exotisiertes* Bild von Indien. Deshalb habe ich unglaublich lange gebraucht, mich dazu zu entschließen diesen Bericht hier zu schreiben. Und als ich dann mitten in meiner Schilderung von intensiven Sinneseindrücken und chaotischen Straßenüberquerungen war, habe ich mich dann für das Gegenteil entschieden – nämlich diesen Bericht nicht zu schreiben.
Warum? Ich habe versucht, reflektiert und selbstkritisch von meinen Erfahrungen zu schreiben und mittendrin dachte ich mir plötzlich: Nein! Ich kann hier schreiben, was ich will: es ist und bleibt meine individuelle und vor allem eurozentrisch* geprägte Sichtweise.
Ich hätte Lust, als Ethnologin und Forscherin noch einmal zurückzukehren, Leute zu interviewen und sie zu Wort kommen zu lassen. Und dann kann ich meinen Blickwinkel kritisch hinterfragen und aus der eigenen kulturellen Perspektive beleuchten. Aber es widerstrebt mir zutiefst, einen neuen von tausenden Reiseberichten über meine persönliche „Grenzerfahrung“, „Kulturschock“ oder „persönliche Entwicklung“ zu schreiben. Davon gibt es einfach schon genug. Ein Bericht für mich selbst in meinem Tagebuch, oder Freund*innen und Verwandten davon zu erzählen ist etwas anderes. Dabei geht es um einen Erfahrungsaustausch. Aber hier habe ich nicht die Möglichkeit eines Erfahrungsaustauschs, sondern das Gefühl, mit jedem Satz stülpe ich dem Leser oder der Leserin meine eurozentrisch geprägte Sichtweise von Indien über. Daher möchte ich es lieber lassen.
Genau darin liegt die Problematik der westlich geprägten Geschichtsschreibung: dass immerzu über Andere geschrieben wird, ohne dass diese selbst zu Wort kommen.
In unserem Blog soll es um persönliche Erfahrungen und individuelle Lebensweisen gehen, das gehört hier zwar dazu, aber in diesem Fall geht es nicht um die Kultur, die mich selbst geprägt hat und die ich gut kenne. Deshalb finde ich es schwierig, darüber zu berichten, wenn ich in Indien nur auf einer kurzen Reise war und nicht über einen längeren Zeitraum selbst dort gelebt habe.
Ich muss sagen, dass es mir mit dieser Entscheidung viel besser geht, nachdem ich mich wochenlang in einem inneren Konflikt befunden hatte.
Herzlichen Glückwunsch, wenn du ans Ende dieses vielleicht etwas ungewöhnlichen Artikels gelangt bist. Es erscheint vielleicht etwas seltsam. Wieso teile ich meinen inneren Konflikt mit euch? Weil genau das der Punkt ist. Ich kann über meine Gefühle und Gedanken schreiben, aber nicht über die Lebensweisen der Anderen, ohne diese zu Wort kommen zu lassen. Denn ich selbst habe einfach zu wenig Hintergrundwissen, das mir dabei helfen könnte, mir selbst und dir als Leser*in die Beobachtungen, die ich auf dieser Reise gemacht habe, zu erklären. All meine Interpretationen beruhen auf meinen eigenen bisherigen Lebenserfahrungen, die ich zum Großteil in einer ganz anderen Umgebung gemacht habe. Und leider hatte ich im Rahmen meiner Reise nicht genügend Möglichkeiten, mich mit Menschen, die diese mir fremde Lebenswelt von Innen kennen, auszutauschen und so meine Einschätzungen überprüfen zu lassen.
Also ich bin offen, nochmal im ClubIn mit dir darüber zu diskutieren und wie du die Sache so siehst. Ich freu mich darauf!
*Exotisierung ist ein kulturwissenschaftlicher Begriff und beschreibt die Einstellung, fremde Kulturen durchaus positiv zu bewerten und ihnen eine besondere Faszination zuzuschreiben. Die Kultur wird unter „exotischen“ Aspekten wahrgenommen und diese voreingenommene Perspektive wird wenig bis gar nicht hinterfragt.
* Eurozentrismus: Ein Begriff, der kritisiert, dass nicht-europäische Kulturen aus der Sichtweise von europäischen Werten und Normen beschrieben und beurteilt werden. Diese Sichtweise ist im Kolonialismus entstanden und sieht europäische Werte als Standard, die einfach auf alle Kulturen übertragen werden können.