Warum stört dich das?

Ein Lob auf meinen und alle Akzente 

Von Marilù Gasparo

“Warum stört es dich so sehr?”, fragte mich ein norditalienischer Kollege, als er sah, dass ich verärgert war, nachdem er einen Satz von mir wiederholt und versucht hatte, meinen süditalienischer Akzent zu imitieren. Ich habe die Frage nicht beantwortet, aber innerlich dachte ich: Muss ich wirklich erklären, warum mich das stört? 

Das Wort ist ein Instrument, das vereint, das verbindet, das Beziehungen herstellt. Es ist nicht das einzige Verbindungsmittel, das wir haben, aber es ist sehr mächtig, es ist schnell und  es ist einfach. 

Es gibt unzählige Sprachen, und innerhalb jeder Sprache gibt es oft viele Dialekte, viele Akzente, viele Wörter, die vielleicht nur in einer Region oder sogar in einer Stadt eine bestimmte Bedeutung haben. 

Diese Vielseitigkeit macht das Wort zu einem Instrument, das nicht immer universell ist, aber sehr faszinierend. 

Menschen, die neben ihrer Muttersprache noch weitere Sprachen  kennen, üben oft eine Faszination aus. 

Wer weiß, warum, aber diese Form der faszinierten Anerkennung ist oft nur denjenigen vorbehalten, die eine Fremdsprache zum Vergnügen, aus beruflichen Gründen oder weil sie das Privileg hatten, eine weiterführende Schule zu besuchen, gelernt haben. Nicht für diejenigen, die vielleicht gezwungen waren, diese Sprache ohne Lehrer:innen, ohne Schule zu lernen. Diejenigen, die nicht zum Vergnügen gereist sind, sondern die eine Sprache gelernt haben, um in einem anderen Land zu überleben, das ihnen und ihren Kindern ein besseres Leben versprach. Verdienen sie denn nicht den gleichen Respekt wie diejenigen, die uns so sehr faszinieren, weil sie sich “einfach so” mehrere Sprachen angeeignet haben ? 

Ihnen wird häufig nicht nur kein Respekt entgegengebracht, sondern die sogennanten Einheimischen des “richtigen” Teils der Welt oder des Landes fühlen sich auch noch berechtigt, den Akzent in der Sprache zu imitieren, die für die Zugezogenen die Muttersprache ist. Die Sprache, die sie seit ihrer Kindheit  kennen und die ihnen keine Kopfschmerzen bereitet, nachdem sie sie stundenlang gehört und versucht haben, sie zu verstehen. Die alteingesessenen Einheimischen des “richtigen” Teils der Welt fühlen sich berechtigt, über das falsche Verb, den falschen Artikel zu lachen, ohne zu merken, dass sie die Einzigen sind, die lachen. 

Seit vielen Jahren habe ich nun einen Akzent. Eigentlich habe ich ihn schon, seit ich sprechen gelernt habe, aber ich habe ihn erst später entdeckt. Italien, mein Land, ist seit Jahrzehnten Zeuge eines Migrationsphänomens, bei dem Menschen aus dem Süden in den Norden ziehen, um zu studieren oder zu arbeiten, weil es im Norden Fabriken gibt. Die Fabriken, in denen unsere Großeltern einen großen Teil ihres Lebens verbracht haben, die Fabriken, die Wohlstand versprachen und dies auch heute noch tun. 

So bin auch ich, unterstützt von meinen Eltern, die mit mir von Mittel- und Norditalien träumten, mit 19 Jahren aus dem Süden weggegangen, um zu studieren. Ich ging mit einer Tasche voller Privilegien. Privilegien, von denen viele Migrant:innen aus anderen Ländern nur träumen oder nicht einmal träumen können. Und ich ging mit meinem südlichen Akzent.

Ein Akzent, der mir bewusst ist, weil man mich als Süditalienerin durch meinen Akzent erkennt. Ein Akzent, der mir bewusst ist,weil jemand amüsiert lächelt, wenn ich was sage…  Deshalb bringt es mich nicht zum Lachen, wenn jemand meinen Akzent imitiert. Denn der Effekt ist, dass wir nicht zusammen lachen können, sondern dass man über mich lacht.  .

Seit dieser Stunde, in der ich meine Herkunftsregion verlassen habe, kehrte ich in meine Heimatregion zurück, um meine Familie zu besuchen, zum Beispiel in den Semesterferien oder im Urlaub, aber nie dauerhaft. Seitdem habe ich eine Zeit lang in Spanien gelebt, dann in Deutschland, und so habe ich neue Sprachen gelernt, und vielleicht habe ich mir etwas von diesem Charme angeeignet, aber überall, wo ich nicht in meiner Herkunftsregion bin, habe ich jetzt einen Akzent, wenn ich spreche. Ich habe einen Akzent, wenn ich die Fremdsprachen spreche, die ich kenne, und ich habe einen Akzent, wenn ich  außerhalb meiner Heimatregion meine Muttersprache spreche. Ich habe einen Akzent aus dem Süden, den Akzent all der süditalienischen  Migrant:innen, die im Norden Arbeit suchen, von als unwissend geltenden  Fabrikarbeiter:innen, von Arbeiter:innen, denen man nachsagt, dass sie  zu sehr an ihren Familien und ihren kulinarischen Traditionen hängen. 

Deshalb ärgere ich mich, wenn jemand meinen Akzent imitiert, denn auch ich, eine privilegierte Migrantin, pflege die Erinnerung an die Migrant:innen aus dem Süden, die ihre Region nicht verlassen wollten und es dennoch mutig taten. 

Ich bin verärgert, weil unsere Geschichten Respekt verdienen, weil sie Geschichten des Mutes sind, Geschichten des Fernseins von der Familie, Geschichten von denen, die gelernt haben, etwas loszulassen.

Worte sind Identität, denn durch Worte drücken wir aus, wer wir sind. Ich bin also stolz darauf, auch durch meine Akzente meine Geschichte auszudrücken. 

Ich möchte, dass alle Migrant:innen stolz auf ihren Mut sind und dass wir uns alle dessen bewusst werden. Uns der Tatsache bewusst werden, dass wir alle manchmal, ohne es zu wollen, ein Stigma aufrechterhalten. Uns bewusst werden, dass viele Formen des Rassismus von der Gesellschaft in einem solchen Ausmaß verinnerlicht werden, dass selbst diejenigen, die sich Werte wie Gleichheit und Respekt auf die Fahnen geschrieben haben, unwissentlich selbst Opfer – aber auch Täter:innen – von unterdrückendem Verhalten werden können. 

Kein Privileg ist ein persönlicher Fehler oder eine Schande, aber jedes Privileg bringt eine Verantwortung mit sich, der wir uns bewusst sein müssen.

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