Wie eine kleine Familie – Das Leben in einer teilbetreuten WG

In der Nähe von ClubIn befindet sich ein Wohnheim für junge Frauen zwischen 16 und 27, das verschiedene, in unterschiedlichem Umfang betreute Wohnformen anbietet. Dazu zählen zwei  vollbetreute sozialtherapeutische WGs. Vollbetreut bedeutet, dass 24/7 Sozialpädagog*innen als Ansprechpartner*innen vor Ort sind. In den drei teilbetreuten Klein-WGs sind die Fachkräfte nur von Montag bis Freitag tagsüber von 10 – 18 Uhr vor Ort.  Im gleichen Gebäude befindet sich außerdem ein unbetreutes Wohnheim für Auszubildende und Studierende.

Eine Clubbesucherin, die gerne anonym bleiben möchten, lebt in einer der teilbetreuten Einrichtungen. Wir nennen sie Lisa. Sie erklärt uns heute, was Betreutes Wohnen eigentlich bedeutet und gibt uns einen Einblick in ihre  Erfahrungen.

Hallo liebe Lisa! Schön, dass du dir heute die Zeit für unser Gespräch genommen hast. Magst du dich zunächst kurz vorstellen? 

Ja, gerne. Ich bin 19 Jahre alt und Schülerin einer FOS – Ich lebe seit 2019 im betreuten Wohnen.

Wie bist du in die WG gekommen?

Bei mir zuhause lief es nicht gut, es gab oft Streit. Ich war schon in Kontakt mit der Jugendhilfe über einzelne Beratungstermine. Bei einem Gespräch in einer psychiatrischen Klinik wurde besprochen, dass ich ins Betreute Wohnen ziehen sollte. Das war erstmal nicht einfach für mich. Ich hab mich anfangs so gefühlt, als ob meine Mutter mich rausschmeißen wollte. Letztendlich hat es uns aber näher zusammengebracht, weil wir beide erstmal unsere eigenen Themen abarbeiten mussten. Ich habe noch immer Kontakt zu meiner Mutter. Wir treffen uns regelmäßig und telefonieren öfters.

Das heißt, trotz anfänglicher Schwierigkeiten hast du dich nun gut eingelebt? Was ist denn das Besondere an einer teilbetreuten WG?

Wir haben einige feste Regeln, z.B. ist Alkohol verboten. Ich muss am wöchentlichen Gruppenabend teilnehmen und meinen Putzdienst erledigen. Außerdem habe ich zweimal die Woche Gespräche mit meiner Betreuerin und der Psychologin des Hauses. Wir reden zum Beispiel über aktuelle Probleme und bürokratische Themen, wie meinen Bafög-Antrag. Hinzu kommen Hilfeplangespräche. 

Moment, was sind Hilfeplangespräche?

Das sind Gespräche mit meiner Betreuerin und meiner Ansprechpartnerin des Jugendamts. Dabei werden die Ziele, die ich in meiner Zeit im Betreuten Wohnen erreichen möchte und alles, was sich seit dem letzten Gespräch verändert hat, besprochen. Ein Ziel könnte sein, selbstständiger zu werden, zum Beispiel, indem ich meine eigene Wochenstruktur plane oder mir einen Nebenjob suche. Aber auch der Entschluss, regelmäßiger zu essen oder mehr Sport zu treiben, sind wichtige Schritte in Richtung Selbstständigkeit. Ungefähr alle 6 Monate findet so ein Hilfeplangespräch statt.

Wow, so eine intensive Begleitung durch Fachkräfte hat vermutlich ihren Preis. Wie wird denn eine betreute WG finanziert?

Das wird vom Jugendamt finanziert, es werden aber auch Gelder eingebracht, wie das Kindergeld und einen vom Gehalt abhängigen Beitrag der Eltern. Ich muss also keine Miete zahlen und bekomme zusätzlich monatlich Geld vom Jugendamt: eine Unterhaltspauschale von ca. 300 Euro, von der man sich Essen, Hygieneartikel, Handyrechnungen und alles, was man sonst so zum Leben braucht, finanzieren soll und ein Taschengeld von 120 Euro.

Manche zusätzlichen Gelder werden auch vom Jugendamt übernommen, darunter mein monatliches Abo bei der MVG.

Sagst du deinen Mitmenschen, dass du in einer betreuten WG wohnst?

Ich spreche mit guten, engen Freund*innen darüber, bei denen ich mir sicher bin, dass sie mich dafür nicht verurteilen werden. Ich schäme mich zwar nicht dafür, aber es wird einfach oft falsch aufgefasst. Anderen erzähle ich einfach, dass ich in einer WG wohne, ohne das Jugendamt oder den therapeutischen Kontext zu erwähnen.

Mit wie vielen Personen wohnst du denn zusammen? Wie gestaltet sich euer Zusammenleben? 

Wir sind eigentlich eine Vierer-WG, aber zurzeit nur zu dritt, weil unsere tolle Mitbewohnerin vor kurzem ausgezogen ist. Wir gehen oft zusammen einkaufen, essen miteinander und sehen fern, machen zusammen Hausaufgaben und unternehmen hin und wieder Ausflüge.

Einerseits kann es die beste Zeit des Lebens sein, aber mit unseren eigenen Problematiken ist es gleichzeitig eine Herausforderung miteinander zu leben. Denn oft bekommt man es auch mit, wenn eine Mitbewohnerin eine schlechte Woche hat, was dann schnell für einen selbst belastend werden kann. Dazu kommen noch alltägliche Herausforderungen des Zusammenlebens in einer WG: Mal wird das Geschirr nicht aufgeräumt und eine andere Person regt sich besonders darüber auf. Mal vergisst jemand, Klopapier zu kaufen. Mal hängen zu viele Haare im Abfluss und so weiter. 

Das Zusammenleben ist bestimmt nicht immer leicht. Aber was ist deine schönste Erinnerung an deine Zeit in der WG?

Es gibt viele…Als wir Corona hatten, hätte meine Mitbewohnerin eigentlich ihren Abiball gehabt und ich ein Golfevent von der Schule. Da wir beide traurig darüber waren, das zu verpassen, haben wir beschlossen, so gut es geht von Zuhause aus zu feiern. Dabei haben wir ein Abizeugnis für die Mitbewohnerin gestaltet und einen Golfschläger aus einem Besen gebastelt. 

Ansonsten alle Momente, in denen wir zusammen gesungen oder getanzt haben. Gefühlt alles (lächelt). Es gab so viele tolle Erlebnisse in der WG.

Insgesamt ist die WG ein schönes Zuhause. Wir sind inzwischen wie eine kleine Familie. Ich bin selbstständiger geworden und habe kaum soziale Ängste mehr.

Schön, du fühlst dich also wohl in deiner WG und merkst, dass dir diese Wohnform gut tut. Weißt du denn schon, wie es bei dir nach der WG weitergehen soll? Wo möchtest du danach wohnen? 

Ich möchte ins einzelbetreute Wohnen ziehen, wenn ich bereit dazu bin. Der Unterschied zum teilbetreuten Wohnen besteht darin, dass man im einzelbetreuten nur noch ein Gespräch mit den Fachkräften pro Woche hat, nicht mehr mehrere. Und man hat mehr Freiheiten.

Wir danken dir sehr für deine Offenheit und den Einblick in deinen Alltag. Möchtest du noch etwas loswerden, bevor wir uns verabschieden?
Ich kann mich nicht beklagen, das Jugendamt hilft vielen. Wenn es bei euch zuhause nicht funktioniert, traut euch, euch Hilfe zu suchen. Ich würde das Betreute Wohnen allen empfehlen, die ein Zuhause suchen, wo sie sich sicher fühlen können. 

Vielen Dank für das Gespräch, liebe Lisa, und für dieses wichtige Schlusswort! 

Ein Kommentar

  1. Meiner Schwiegermutter geht es inzwischen leider immer schlechter. Aus diesem Grund sind wir nun für sie auch auf der Suche nach einem betreuten Wohnen. So eine betreute WG könnte allerdings auch sehr passend sein.

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