Biene oder Misogynie?

Von Jo

Jetzt hab ichs zugelassen,

Mich nicht für den Gedanken zu hassen

Keine Frau sein zu wollen.

Auch wenn es das ist, was ich hätte sein sollen,

schließlich trage ich die Chromosomen.

Warum fühlt es sich dann an wie gelogen,

wenn ich sage: Ich bin eine Frau?

Wenn ich ehrlich bin, weiß ich schon eine Weile,

genau das,

bin ich nicht.

So sehe ich zwar mein weibliches Gesicht,

und ich finds nicht schlimm.

Ich dachte nur, mit dem Erwachsenwerden

Erfüllt auch das Wort „Frau“ eines Tages (s)einen Sinn.

Doch das hat es nicht.

So spielte ich verkleiden,

nur um nicht zu zeigen, dass ich keine von Ihnen bin.

Vielleicht ist es auch internalisierte Misogynie, die aus mir spricht.

Die Last der Frauen, ihrer Geschicht‘.

Das ständige Kämpfen ums Aufbrechen von Rollenbildern,

es sollen neue Ideen entstehen in Köpfen von Kindern.

Mein Anspruch ist groß,

ich will ihn nicht tragen.

Ists deshalb einfacher zu sagen:

„Ich bin eine Biene1, einfach nur Ich,

mir doch egal, wenn das männliche Bild des Frauseins nicht bricht“.

Aber fühlt sich Biene sein nicht an wie die bessere Revolution?

Das gnadenlose Einstehen fürs Menschsein ohne Definition?

Hier blute ich zwischen Moral, Intuition und Aspiration,

wie als ich das erste Mal blutete und mir wünschte,

ich wäre geboren als Sohn.

Weil mir die Last des Frauseins damals schon bewusst war,

meine Angst Frau zu werden, war schon immer da.

Ich mag die Erwartungen nicht, die mit Kurven kommen,

fühlte mich bei ihrem Anblick schon immer beklommen.

Jetzt weiß ich,

ich muss mich nicht anlügen,

als Frau identifizieren,

nur um veraltete Gendervorstellungen zu emanzipieren.

Ich stehe gerne für Frauen* ein,

und ich will, dass sich alle Menschen befreien,

ohne dabei Einzubüßen, ich selbst zu sein.

Und eines Tages bedeuten diese Wörter hoffentlich alle nichts mehr.

Dann lassen wir Menschen menschlich sein.

Und ich bin ich

Und du bist du.

Erklärungen zum Gedicht 

 1 Erklärung zum Wort Biene: Es ist ein Wortspiel, Biene steht hier für NB, also Nicht-Binär/Non-Binary. Wenn man NB auf Englisch ausspricht, hört es sich an wie ÄN-BEE (Bee= englisch für Biene).

Erklärung zum Wort Nicht-Binär/Non-Binary:

Nicht-binäre (Englisch „non-binary“) Menschen haben eine Geschlechtsidentität, die weder-noch, also weder ganz/immer weiblich, noch ganz/immer männlich ist. Viele Nichtbinäre verstehen sich als trans* Menschen, manche aber auch nicht. Manche nicht-binäre Personen können den Wunsch nach Körperveränderungen hin zu einem nicht-binären, „uneindeutigen“, androgynen Geschlechtsausdruck haben, andere nicht. 2

In meinen eigenen Worten: NB ist eine Genderidentität, die verschiedenes bedeuten kann, aber dass man sich grundsätzlich nicht als Mann oder Frau sieht, sondern etwas dazwischen oder außerhalb dieses Spektrums.

 2 Vgl.: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/geschlechtliche-vielfalt-trans/500940/nicht-binaer/

Geschlecht, biologisches

Im Deutschen sind mit biologischem Geschlecht (Englisch „Sex“) alle körperlichen, geschlechtsspezifischen Merkmale gemeint. Es wurde lange davon ausgegangen, dass es nur zwei Geschlechter gibt, nämlich Mann und Frau. Diese Konstruktion lässt sich nach neuesten Erkenntnissen der Forschung nicht (mehr) halten. Es ist daher notwendig, auch im Hinblick auf das biologische Geschlecht von Frau, Mann und Divers, also z.B. Intersex zu sprechen.

Geschlecht, soziales

Soziales Geschlecht bezieht sich darauf, wie Menschen sich in Bezug auf ihre Geschlechterrolle und -identität fühlen. Es betrifft, wie eine Person sich selbst in Bezug auf ihr gelerntes, zugeschriebenes und legales Geschlecht empfindet. Außerdem umfasst es die Erwartungen der Gesellschaft an bestimmte Verhaltensweisen in Abhängigkeit des Geschlechts. Das soziale Geschlecht – also wie man sich selbst sieht bzw. andere einen sehen –  kann anders sein als das biologische Geschlecht.

Wie ist das Gedicht entstanden? 

Es hat Auswirkungen auf einen selbst und auf seine Umwelt, wenn man sich outet und versucht zu erklären, was es für einen bedeutet, sich nicht als Mann oder Frau zu fühlen. Für mich war es ein Dilemma, da Frauenrechte und das Aufbrechen von Stereotypen mir sehr wichtig sind. Kann ich zur Befreiung von Frauen von Erwartungshaltungen beitragen, wenn ich zwar als Frau gelesen werde, mich aber gleichzeitig von diesem Label distanziere? Macht es die Kategorien Mann/Frau nicht noch enger, wenn alles, was nicht typisch Mann/Frau ist, automatisch als nicht-Binär betrachtet wird?

Viele Frauen fühlen sich nicht typisch weiblich, weil die Erwartungen an das Verhalten einer Frau und die Behandlung durch Männer immer noch stark von einer unterdrückenden Struktur geprägt sind. Es kann also sein, dass man sich als Frau fühlt, aber nicht den gängigen Klischees entspricht. Solange man sich jedoch als Frau identifiziert, wird das soziale Geschlecht immer noch als „Frau“ wahrgenommen. Wenn man sich als Frau identifiziert und dabei sehr „untypisch weiblich“ ist, kann man für viele Kinder und Jugendliche ein Vorbild sein. Sie können dann erkennen, dass Hobbys, Berufe, Kleidung usw. für alle Geschlechter gleich da sind. Dadurch werden Klischees und Rollenbilder aufgebrochen und eine jüngere Generation gefördert, die sich freier von Stereotypen ausdrückt.

Es ist also herausfordernd zu unterscheiden, ob man sich wie eine Frau fühlt, aber viele Klischees und Stereotypen des Frau-Seins nicht erfüllt, oder ob man sich nicht als Frau fühlt und deshalb nicht als solche gesehen werden will, weil das soziale Geschlecht z.B. nicht-binär ist.

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