Von Alba Bock*
„Was machst du da eigentlich im Ausland? Deine Mama hat gesagt, du bleibst länger?“, fragt meine Oma in unserem ersten Telefonat, seit ich mein Heimatland vor vier Wochen verlassen habe, um etwa ein halbes Jahr im Ausland zu leben. „Ich studiere“, antworte ich. Meine Antwort ist sehr knapp, ich mache mir nicht mal die Mühe zu erklären, was ich studiere. Ich wüsste nicht, wo ich anfangen soll. Ich habe oft den Eindruck, wir leben in verschiedenen Welten. Ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Oma auch nie verstanden hat, was ich in meinen früheren beiden geisteswissenschaftlichen Studiengängen studiert habe und was ich in meinem früheren Job in einem Jugendzentrum gearbeitet habe. Ihrem Umfeld hat sie wohl erzählt, ich sei Lehrerin. Das war der einzige Beruf mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter dem sie sich etwas vorstellen konnte.
Meine Oma hat nie eine Uni betreten. Meine Oma hat ihr Leben lang sehr viel gearbeitet. Als Hausfrau, Mutter und Bäuerin. Sie hat einen unglaublichen Wissensschatz, allerdings in Bereichen, die heute oft von der Gesellschaft wenig Beachtung oder gar Anerkennung erhalten. Sie weiß, wie man selbst Kleider näht. Ich kann noch nicht mal ein Loch stopfen und kaufe schlechten Gewissens Kleidung aus Niedriglohnländern. Sie backt die leckersten und kunstvollsten Torten. Ich bin schon froh, wenn mein Tassenkuchen nicht oben verbrennt und innen noch flüssig ist. Ihr Hof ist ein Feuerwerk an bunten Blumen, die sich der Sonne entgegenstrecken. Meine Balkonpflanzen lassen oft nach wenigen Wochen die Köpfe hängen. Als sie in meinem Alter war, hatte sie zwei Kinder im Grundschulalter. Mir macht der Gedanke, selbst Kinder zu haben, Angst. Angst davor, meine Freiheit zu verlieren, Angst als Mutter zu versagen, Angst weder in der Arbeit noch im Familienleben mit mir zufrieden zu sein. Meine Oma ist nie lange verreist und hat ihr Leben lang in derselben Gemeinde gelebt. Ich komme mittlerweile auf zwölf Umzüge und habe an neun verschiedenen Orten länger gelebt.
Unsere Leben sind so unterschiedlich. Wir haben so verschiedene Erfahrungen gemacht und verfügen über Wissen in ganz unterschiedlichen Bereichen. Doch während ich für mein an der Universität erworbenes Wissen und meine Titel gesellschaftliche Anerkennung erfahre, gilt ihr Wissen immer weniger.
Ich wünsche mir mehr Anerkennung für die Arbeit meiner Großeltern. Und gleichzeitig wünsche ich mir mehr Anerkennung von Seiten meiner Großmutter für mich. Ich mache mir nicht die Mühe, ihr zu erklären, was ich an der Uni mache. Aber ich habe auch das Gefühl, dass es sie nicht sonderlich interessiert. Oder vielleicht hätte sie ein Gefühl von Unterlegenheit, wenn ich davon spreche? Vielleicht hat sie zu oft erlebt, dass Akademiker*innen sie behandeln, als wäre sie dumm? Als wäre ihre Arbeit weniger wert? Aber wenn ich ihr nicht zutraue, dass sie verstehen könnte, was ich mache, wenn ich es ihr in Ruhe erkläre, ist meine Haltung dann nicht auch überheblich? Wie soll sie neugierig bleiben und nachfragen, wenn ich ihr nur einsilbige Antworten liefere? Wie soll sie verstehen, welche Träume und Ziele ich habe, wenn ich sie ihr verschweige?
Und dann gibt es noch einen weiteren Grund, warum ich ihr gegenüber so verschlossen bin. Ich befürchte, sie würde meine Lebensvorstellungen abwerten. Und zack, da kommt schon der Seitenhieb: „Möchtest du denn noch keine Familie gründen? Du bist doch jetzt auch schon im richtigen Alter.“ Diese Frage stellt sie in letzter Zeit häufiger. Es ist eigentlich nicht so, dass ich mich davon unter Druck gesetzt fühle. Aber es stört mich, dass sie auch nicht an einer ehrlichen Antwort interessiert zu sein scheint. Ich murmle nur: „Öhm, ich bin noch nicht so weit.“ Und sie fängt an, mich über eine Freundin auszufragen, die gerade ein Baby bekommen hat. Ob es denn brav durchschlafe oder viel weine. Ich hab davon keine Ahnung. Wahrscheinlich wählt meine Oma dieses Thema, weil es einfach ein Gebiet ist, in dem sie sich auskennt. Ein Gesprächsthema, bei dem sie nicht das Gefühl hat, unterlegen zu sein, sondern von dem sie selbst sehr viel versteht.
Meine Oma schließt das Gespräch mit „Du bist mir schon so Eine.“ Das bedeutet so viel wie „Du bist eine Schlawinerin, also ein bisschen frech, aber auch ein bisschen “straßenschlau”. Eine Person, die Wege findet, um sich nicht an geltende Regeln und Konventionen zu halten. Jemand, der oder die ausbüchst. Und da liegt meine Oma richtig. Ich flüchte gerade vor den Konventionen, die immer noch ein großer Teil der Gesellschaft für eine Frau in meinem Alter vorsieht. Ich hoffe, dass wir, wenn ich zurück bin, Zeit für ein ausführliches Gespräch finden, in dem ich sowohl die Geduld als auch den Mut habe, ihr wirklich aus meinem Leben zu erzählen.
*Name geändert
Die Generationen haben seit Corona einen noch größeren Konflikt als noch zuvor;(
LG
Tammie