Die Eisläuferin

Stellt euch vor, ihr seid zum ersten Mal Eislaufen, auf einem zugefrorenen See. Am Anfang seid ihr, wenn ihr kein Naturtalent seid, sehr wackelig unterwegs. Sucht verzweifelt nach Halt, den ihr nur bei euren Mitmenschen findet, da es keine Bande wie bei einer Schlittschuhbahn gibt und auch nicht die Pinguine zum Üben. Irgendwann werdet ihr besser, mit der Zeit und der Übung. Ihr kommt vielleicht sogar in einen Flow, wo ihr elegant wie eine Eiskunstläuferin über das Eis gleitet und den damit einhergehenden Adrenalinkick in vollen Zügen genießt. Dann kann es aber passieren, dass ihr stolpert und die Unsicherheit auf dem Eis wird wieder größer. Erneut sucht ihr nach Halt, bis es wieder besser läuft. So wechselt sich beides ab, konstant bleibt lediglich die Gefahr hinzufallen und im schlimmsten Fall in das Eis einzubrechen, wenn es noch an einigen Stellen zu dünn sein sollte. 

Der Zusammenhang mag erstmal sehr abstrakt wirken, aber so ähnlich fühlt es sich an mit der Borderline Störung zu leben. Die einzigen Unterschiede sind, dass es meistens keinen Spaß macht und ihr quasi auf dem Eis gefangen seid, ihr also nicht einfach, wenn ihr müde oder schwach werdet, vom Eis heruntergehen könnt. Ihr dürft euch auch nicht auf das Eis setzen oder legen, das wäre ja zu einfach. Somit fehlt permanent der feste, stabile Boden unter den Füßen.

Die Borderline-Persönlichkeitsstörung, auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung genannt, ist eine psychische Erkrankung, die mit einem hohen Leidensdruck und wie der Name schon sagt, mit emotionaler Instabilität einhergeht. Ich mag den Ausdruck Persönlichkeitsstörung nicht. Das klingt so, als wäre meine Persönlichkeit an sich krankhaft. Andererseits ist es nun mal eine Krankheit, die einem meist trotz Therapie über viele Jahre erhalten bleibt und einen stark beeinflusst, auch wenn man sich natürlich nicht über die Erkrankung definiert.

Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Gehirn einer Person mit Borderline anders funktioniert und die Emotionen deutlich verstärkt sind, bzw. bereits Kleinigkeiten intensivste Emotionen hervorrufen können. Das gestaltet sich im Alltag als schwierig. Eine Freundin antwortet z.B. etwas knapper als sonst  und sofort löst das eine Kette an Gefühlen aus. Dazu gehört etwa die Angst davor, nicht mehr gemocht zu werden und eine daraus resultierende Traurigkeit oder Wut auf das Gegenüber. Fehler  machen kann ebenfalls starke Schuldgefühle und Selbsthass auslösen, da das Selbstbewusstsein oft relativ gering ist und man stark von äußerer Wertschätzung abhängt. Andererseits können aber auch die positiven Emotionen sehr intensiv sein und die Stimmung teils sehr schnell schwanken.

Wie in meinem EIslaufvergleich erwähnt, spielen Mitmenschen eine wichtige Rolle. Borderliner neigen dazu sich an einzelne Menschen stark zu binden, sodass sie das Gefühl haben, ohne diese Menschen nicht mehr leben zu können. Kommt es zu einem Konflikt oder einem Verlassenwerden, löst das oft schwere emotionale Krisen aus. Es ist aber auch die Entstehung von besonders intensiven, wunderschönen und tiefgehenden Beziehungen möglich.

Anspannung ist eines der verbreitetsten Symptome von Borderline. Ich fühle mich permanent so, als würde Strom durch meinen Körper fließen.

 (Manchmal merkt man die Anspannung einem an Zittern oder verkrampfter Körperhaltung an)

. Es ist eine unangenehme Anspannung, die ich eigentlich irgendwie loswerden möchte, weil ich nicht zur Ruhe finde. Fällt diese weg, dann bin ich jedoch in einem Loch innerer unaushaltbarer Leere und Langeweile.  

Eine wichtige Rolle spielt auch das Schwarz-Weiß-Denken. Alles oder Nichts.  Widersprüche sind für Borderliner schwer zu verstehen, dabei sind sie selbst ein wandelndes Paradoxon. Sie springen von einem Extrem zum anderen, anstelle einen Mittelweg zu wählen. So kann ich beispielsweise im Studium abwechselnd fleißig sein und überdurchschnittlich gute Leistungen erzielen, und dann wieder komplett demotiviert und lustlos sein. Doch nicht nur in meinem eigenen Verhalten geht es um Alles oder Nichts. Auch das Verhalten der Anderen ist für mich entweder Schwarz oder Weiß. Wenn das Gegenüber etwas Schlechtes macht, kann ich das nicht mit den guten Eigenschaften der Person zusammenbringen. Somit ist jemand abwechselnd komplett gut oder böse, wird abwechselnd idealisiert und dann wieder komplett abgewertet.

( Die Ursachen dafür liegen oft in der Kindheit.  Wenn das Kind z.B. nicht verstehen konnte, wieso die Mutter es auf einmal anschreit oder schlecht behandelt, ist es für es leichter, die Mutter als zwei verschiedene Personen zu betrachten: eine liebevolle und eine durchweg böse.)

Allgemein ist der Grund für Borderline häufig traumatische Erfahrungen in der Vergangenheit

Wenn man an diese Erfahrungen erinnert wird, kommt es meistens zur sogenannten Dissoziation. Das ist ein Schutzmechanismus des Gehirns, wenn die Gefühle zu unangenehm sind, um sie aushalten zu können.

Ich fühle mich dann immer so wie in Watte gepackt. Alle Geräusche klingen leiser, so als wäre ich weit entfernt und ich sehe nur noch verschwommen. Daher fühlt sich alles so unwirklich an, als würde ich gerade träumen. Auch wenn ich in den Spiegel schaue, erkenne ich mich kaum wieder. Dieses Gefühl ist ganz gruselig. Aber in der Therapie lernt man Methoden, wie man aus diesem Zustand rauskommt, hauptsächlich durch starke Reize, zum Beispiel Ammoniakgeruch oder das Gesicht in eine Schüssel mit Eiswürfeln tauchen.

Je nachdem wie schwer die Erkrankung ist, kann es zu häufigen Krisen mit Suizidgedanken und selbstverletzendem Verhalten kommen. Selbstverletzung ist eine schädliche, aber kurzfristig wirksame Strategie, um die Gefühle und die starke Anspannung ertragen zu können oder sich bei einer Dissoziation wieder zu spüren. Dieses Verhalten macht leider wie jede andere Sucht abhängig und kann sehr abschreckend auf andere Menschen wirken. Der Sommer ist für mich daher die schlimmste Jahreszeit. Mir ist immer sehr warm, weshalb ich keine langen Sachen im Sommer tragen kann, dafür muss ich aufgrund der Narben von meinem selbstverletzenden Verhalten mit den teils mitleidigen, teils erschrockenen bis angewiderten Blicken in der Öffentlichkeit leben. 

(Ich bin seit Jahren in Therapie, habe viele Klinikaufenthalte hinter mir und nehme Medikamente. Meine Symptome sind trotzdem noch präsent und beeinträchtigen meinen Alltag stark, aber es gibt auch immer wieder Phasen, in denen es mir besser geht. Diese werden immer häufiger und länger durch die harte Arbeit an mir selbst. Ich habe zudem mehr Willenskraft, um die schlechten Phasen zu überstehen und ein Hilfsnetz, das mich auffängt. Das ist denke ich besonders wichtig für eine Verbesserung des Zustands. ) 

Es gibt viel Hilfe in Form von Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen, Therapie, Kliniken, betreutem Wohnen und Medikamenten.  Insbesondere die DBT, die dialektisch-behaviorale Therapie, hat sich bei mir gut bewährt. Dabei lernt man, seine Emotionen besser zu verstehen und zu regulieren. Man muss das also nicht alleine durchstehen und es wird besser. Auf dem Weg dahin wünsche ich mir Verständnis für alle Betroffenen und hoffe eines Tages offen über meine Erkrankung reden zu können, so offen als wäre es eine Grippe, ohne mit Vorurteilen oder Überforderung konfrontiert zu werden und ohne für meine Narben verurteilt zu werden. Denn Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht verrückt. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und unseres ist einfach etwas schwerer und fällt stärker auf.

Das ist mein subjektives Empfinden zu der Erkrankung, diese kann bei jedem anders ausgeprägt sein. Falls ihr euch in den Punkten erkennt und/oder es euch generell psychisch nicht gut geht, bitte sucht euch professionelle Hilfe. 

Diese findet ihr z.B. unter den folgenden Nummern/Seiten:

Krisendienst Oberbayern 0800 / 655 3000

Kinder- und Jugendtelefon 116 111

https://krisenchat.de

Telefonseelsorge: 0800 1110111

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